Interview vom Botschafter Geng Wenbing mit der CH-Media
2020-06-03 22:52
 
Am 02.06 veröffentlichte die CH Media, eine renommierte Mainstream-Mediengruppe der Schweiz, ein exklusives schriftliches Interview mit Herrn Botschafter GENG Wenbing. Auf Themen wie die Verantwortung für die COVID-19-Pandemie, Auswirkungen der Pandemie auf die chinesische Wirtschaft, Konsequenzen für die chinesische Regierung, Fragen über Taiwan und die WHO, Sino-amerikanische Beziehungen im Schatten der Pandemie, Sino-schweizerische Beziehungen und Sorge um die Führungsrolle Chinas in der 5G-Technik etc. ging Herr Botschafter ein und beantwortete die entsprechenden Fragen. Am selben Tag wurde das Interview in mehreren Zeitungen wie «Luzerner Zeitung», «Aargauer Zeitung», «St Gallen Tageszeitung» und «TagesAnzeiger» publiziert. Der vollständige Text ist im Folgenden zu lesen.
 
 
F: Herr Botschafter, wie hat sich das Virus auf Ihre Arbeit ausgewirkt? Ich nehme an, Sie haben doppelt so viel zu tun wie vorher?

A: Geng Wenbing: Ich pflege immer noch zahlreiche enge Kontakte mit schweizerischen Instanzen. Wir geben unser Bestes, um die Schweiz bei der Bekämpfung der Epidemie zu unterstützen. Die reinen Formalitäten und der Inhalt der diplomatischen Arbeit mögen nach dem Ausbruch der Epidemie einigermassen anders aussehen. Die Sino-schweizerischen Beziehungen entwickeln sich aber weiterhin positiv.
 

F: Tragen Sie eine Schutzmaske, wenn Sie in Bern einkaufen gehen?

A: Seit dem Ausbruch der Epidemie hierzulande halte ich mich fest an die Empfehlungen der Schweizer Regierung und gehe so wenig wie möglich an die frische Luft. Wenn es aber absolut notwendig ist, mal rauszugehen, dann trage ich eine Schutzmaske, ja.
 

F: Welche Lehren zieht China aus der Coronakrise?

A: Diese Pandemie hat katastrophale Auswirkungen nicht nur auf China, sondern auf die ganze Welt. Es soll nicht die Aufgabe eines bestimmten Landes sein, daraus Lektionen zu ziehen. Alle Länder sollen Daten und Fakten aus der Praxis sammeln und diese objektiv analysieren. Das Ziel liegt darin, dass die Menschheit sich in Zukunft verstärkt für die Prävention von Pandemien einsetzt und das Management des öffentlichen Gesundheitswesens verbessert.
 

F: Chinas wirtschaftliche Wachstumsphase wurde abrupt gestoppt. Wie sehr leidet das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung darunter?

A: Die Bevölkerung ist zuversichtlich in Bezug auf die Wirtschaftsentwicklung, in guten und in schlechten Zeiten. Als die Epidemie ausbrach, folgten 1.4 Milliarden Menschen dem Aufruf der Regierung und blieben zu Hause. Nach der Überwindung der Epidemie fingen die Chinesinnen und Chinesen wieder an, ihr Zuhause zu verlassen, die Arbeit wieder aufzunehmen und die Produktion wieder hochzufahren. Sie arbeiten hart daran, die Wirtschaft wiederzubeleben. All dies ist Ausdruck des vollen Vertrauens der Bevölkerung in die Regierung. Auch die Kaufkraft ist hoch geblieben: In den freien Tagen vom 1. bis zum 4. Mai machten 104 Millionen Chinesen einen Ausflug im Land und gaben 43.23 Milliarden RMB Yuan aus. Dies zeigt die enorme Dynamik des Binnenkonsums.
 

F: Trotzdem: China musste seine Wachstumsprognose nach unten korrigieren. Die Regierung hat ihre Legitimation stets mit dem Wirtschaftswachstum begründet. Wie hält sie die Bevölkerung jetzt bei Laune?

A: Unter der ausgereiften Führung der Kommunistischen Partei, die China seit 71 Jahren regiert, ist es dem chinesischen Volk gelungen, sich ein für alle Mal von Elend und Not zu verabschieden und sich endgültig von Missbrauch und Demütigung zu befreien. Die Wirtschaft Chinas ist seit der Einführung der Reform- und Öffnungspolitik vor etwa 40 Jahren in einem unglaublich hohen Tempo gewachsen. Zugleich verbessert sich der Lebensstandard der chinesischen Bevölkerung kontinuierlich. Wie könnte es da passieren, dass die Bevölkerung so eine Regierung nicht unterstützt?
 

F: Zum Beispiel, indem man die Bevölkerung falsch informiert. Im Frühjahr hat die Regierung warnende Stimmen aus Wuhan zum Schweigen gebracht und versucht, die Gefahr unter den Teppich zu kehren. Wie kam es zu diesem Fehler?

A: China hat nie versucht, die Epidemie zu vertuschen. Im Gegenteil hatten wir uns, nachdem die Möglichkeit der Mensch-zu-Mensch-Übertragung des Virus bestätigt wurde, immer fest an den Prinzipien der Offenheit und Transparenz gehalten. Und wir bestehen auf die internationale Zusammenarbeit. Ende Dezember 2019 hat das Wuhan CentreforDiseasePrevention& Control Fälle von Lungenentzündung aus unbekannten Gründen registriert. Am 31. Dezember informierten die chinesischen Behörden die Weltgesundheitsbehörde WHO offiziell über diese Fälle. Ab dem 3. Januar begann China, der WHO und anderen Länder einschliesslich der Vereinigten Staaten unaufgefordert Berichte über die Entwicklung der Lage zuzusenden. Noch am selben Tag, an dem die Übertragbarkeit des Virus von Mensch zu Mensch nachgewiesen wurde, unternahmen Experten der WHO eine Inspektionsreise nach Wuhan. China ist ein Opfer eines unerwarteten Angriffs eines unbekannten Virus auf die Menschheit. Wir sind weder Nutzniesser noch Täter. Die Verleumdungskampagne gegen China wurde erst ausgerufen, nachdem sich die Epidemie auch in Europa und in den Vereinigten Staaten verbreitet hatte. Sie wollen einen Sündenbock finden und sich ihrer eigenen Verantwortung entziehen.
 

F: Trotzdem: Noch im Januar nach dem Ausbruch des Virus sind 100 000 Chinesen in die ganze Welt gereist. Wie gross ist die Mitverantwortung Chinas für den Ausbruch der Pandemie?

A: Jedes Jahr unternehmen etwa 140 Millionen chinesische Touristen Reisen ins Ausland. China hat unverzüglich beispiellos strikte Präventions- und Kontrollmassnahmen ergriffen, als die Menschen-zu-Menschen-Übertragung bestätigt war. Die Stadt Wuhan wurde am 23. Januar komplett abgeriegelt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass sich manche westlichen Regierungen und Medien kritisch über diese Massnahmen geäussert haben. Ihrer Ansicht nach waren solche Massnahmen erstens unnötig und zweitens hätten sie «Menschenrechte» verletzt. Dadurch hat China der Welt zwei Monate wertvolle Zeit verschafft, so dass andere Länder sich auf die Epidemiebekämpfung vorbereiten konnten. Wir fühlen das Leiden der Betroffenen in anderen Ländern wie am eigenen Leib. Aber einige wenige Menschen versuchen, das Leiden der Anderen zu politisieren. Sie bellen und brüllen wie wilde Tiere. Solche Handlungen verdienen nur Verachtung.
 

F: Die Schweiz hat weit weniger scharfe Massnahmen verhängt als China und die Krise trotzdem gut im Griff. War die Reaktion Chinas nicht schlicht übertrieben?

A: Wir waren mit einem neuartigen Virus konfrontiert, dessen Ausbreitungspotenzial sowie mögliche Auswirkungen noch völlig unklar waren. Wir tappten im Dunkeln.Unter diesen Umständen haben wir festgestellt, dass die Lebenssicherheit und Gesundheit der Bevölkerung die höchste Priorität haben müssen. Unter diesen Voraussetzungenwaren die Massnahmen zur Epidemiebekämpfung zielgerecht. China und die Schweiz unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht. China hat 1,4 Milliarden Einwohner, als rund 160 Mal mehr als die Schweiz. Jede Regierung soll daher Massnahmen ergreifen, die den eigenen nationalen Begebenheiten entsprechen. Solange diesewissenschaftlich fundiert sind und sich als wirksam erweisen, sind sie richtig.
 

F: Welche Note geben Sie der Corona-Strategie der Schweizer Regierung?

A: Das ist die Aufgabe der Schweizer Bevölkerung. Ich persönlich finde die vernünftige und pragmatische Vorgehensweise der eidgenössischen Regierung schätzenswert. Der hiesigen Bevölkerung gebe ich eine sehr gute Note. Ihr Vertrauen in die Regierung und ihre aktive Kooperation sind lobenswert.
 

F: China setzt sich hartnäckig dafür ein, dass Taiwan nichtbei der Weltgesundheitsbehörde WHO mitwirken kann, obwohl die Welt viel von Taiwans vorbildlichem Umgang mit dem Virus lernen könnte. Wann hört Ihre Regierung mit dieser Verweigerungstaktik auf?

A: Taiwan ist kein «Staat», sondern ein integrierter Teil von China. Alle Mitgliedsstaaten der UNO, einschliesslich der Schweiz, haben das Ein-China-Prinzip anzuerkennen. Die WHO ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die sich aus souveränen Staaten zusammensetzt. Taiwan als Provinz von China verfügt demnach nicht über die notwendige Qualifikation, der WHO beizutreten. Obwohl Provinz Taiwan kein Mitglied der WHO ist, sehen die Vereinbarung zwischen China und der Organisation vor, dass Experten aus der Provinz Taiwan an technischen Konferenzen der WHO teilnehmen dürfen, und WHO-Experten können bei Bedarf auch zur Inspektion nach Taiwan reisen. Man kann ja sagen, dass keine Hindernisse hinsichtlich technischer Austausche und Zusammenarbeit zwischen Taiwan als Region und der WHO zu beobachten sind. Abgesehen davon gibt es noch einige Sachen, die westliche Medien nicht bekanntgegeben haben: Am 30. Dezember, als der erste Fall der unbekannten Lungenentzündung auf dem Festland bestätigt wurde, übermittelte die Wuhaner Stadtregierung auf Anfrage offizielle Informationen an die Gesundheitsinstanz in Taiwan. Danach wurde eine Untersuchungsreise von Experten aus Taiwan nach Wuhan organisier tund technische Daten ausgetauscht. Ohne diese Unterstützung vom Festland hätte Taiwan wohl kaum bemerkenswerten Erfolg in der Epidemiebekämpfung erzielen können. Dieses einseitige «Lobgesang» für die  Provinz Taiwan folgt grundsätzlich politischen Zwecken.
 

F: Amerikas Regierung hat lange vom "Chinesischen Virus" gesprochen und China für die Krise verantwortlich gemacht. Wie sehr hat dadurch Chinas Reputation in den USA und weltweit Schaden genommen?

A: Wir tun unser Bestes, um die Epidemie einzudämmen. Unsere Bemühungen gewinnen Anerkennung und Lob von der WHO und vielen Ländern. Darüber hinaus leisten wir, obwohl die Epidemie im eigenen Land noch nicht vollständig überwunden ist, den von dem Virus schwer getroffenen Ländern und Regionen Hilfe. Wir erfüllen die Verantwortung einer Grossmacht. Es ist weder faktisch begründet noch moralisch haltbar, von China zu verlangen, die Verantwortung für die Epidemie dafür zu tragen
 

F: Kann China überhaupt noch mit US-Präsident Donald Trump zusammenarbeiten?

A: Wir sind fest davon überzeugt, dass das harmonische Zusammenleben für beide Länder von Vorteil ist. Beide Länder tragen Schaden, wenn sie gegeneinander kämpfen. Seit dem Ausbruch der Epidemie haben Präsident XiJinping und Präsident Trump zweimal telefonische Gespräche geführt. Beide legen grossen Wert auf die Zusammenarbeit in der Epidemiebekämpfung und betrachten diese Kooperation als die wichtigste Aufgabe in der aktuellen Situation. Allerdings gibt es einige wenige Politiker in der gegenwärtigen US-Administration, denen es an politischer Moral mangelt. Sie nutzen die Epidemie, um persönliche Interessen zu verwirklichen. Diese unzuverlässigen und verantwortungslosen Handlungen stören die internationale Zusammenarbeit und führen dazu, dass solche Politiker ihre Glaubwürdigkeit verlieren.
 

F: Auch in der Schweiz gibt es Widerstand gegen den chinesischen Einfluss, nicht erst seit der Coronakrise. Das Parlament hat Investitionskontrollen für Firmenübernahmen durch ausländische Investoren beschlossen – gemeint sind vor allem chinesische. Was halten Sie davon?

A: Das gehört zur Innenpolitik der Schweiz. Ich möchte keinen Kommentar dazu geben. Verkäufe und Käufe im Rahmen der Marktwirtschaft vollziehen sich auf freiwilliger Basis, es geschieht kein gezwungener Kauf oder Verkauf.
 

F: In der Schweiz aber fürchteten sich viele vor Chinas digitalen Tentakeln. Das Engagement Chinas beim Ausbau der 5G-Technologie weckt Überwachungsängste. Ganz ungerechtfertigt sind die nicht, wenn man schaut, wie ausgereift die Überwachungs- und Trackingtechnologie in Ihrem Heimatland ist, oder?

A: Wissenschaftliche und technologische Fortschritte gelten seit jeher als der Hauptantrieb für die Entwicklung der Menschheit. Die Zeiten der 1G- bis zur 4G-Technik waren von den Amerikanern dominiert. Aber ich habe noch nie Besorgnis darüber gelesen, jedenfalls nicht in der westlichen Berichterstattung. Jetzt steht China zum ersten Mal auf der weltweit führenden Position – und schnell äussern viele ihre «Besorgnisse». Das ist weder normal noch logisch.
 

F: Hat das einst vorzügliche Verhältnis Schweiz-China generell gelitten?

A: Seit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen vor 70 Jahren entwickeln sich die Sino-schweizerischen Beziehungen relativ stabil. China besteht darauf, bilaterale Beziehungen mit der Schweiz auf der Grundlage des gegenseitigen Respektierens, der Gleichheit, des gegenseitigen Zu-Nutze-Kommens und der Kooperation hin zu einem Win-Win-Zustand aufzubauen. Wie bei allen bilateralen Beziehungen auf dieser Welt, ist es ein natürliches Phänomen, dass China und die Schweiz ab und zu auch unterschiedliche Ansichten oder gar Auseinandersetzungen miteinander haben. Wir sollen unsere Sicht jedoch nicht von solchen vorbeiziehenden Wolken blockieren lassen.
 

F: Welches sind denn die häufigsten Missverständnisse zu Ihrem Land, denen Sie in der Schweiz begegnen?

A: Ich habe oft gesagt, dass Schweizerinnen und Schweizer viel weniger über China wissen als Chinesinnen und Chinesen über die Schweiz. Es gibt zwei Arten von Missverständnissen: Einige haben noch immer das Bild von einem rückständigen China aus den 1960er- und 1970er-Jahren beizubehalten. Das zweite ist genau das Gegenteil: Man kann nicht akzeptieren, dass China bereits die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt geworden ist und ist deshalb besorgt, dass die bestehende internationale Ordnung durch den Aufstieg Chinas relativiert würde. Ich kann Ihnen versichern, dass China ein entschlossener Verfechter der bestehenden internationalen Ordnung ist.
 

F: Chinesische Touristen sind ein wachsender Markt für die Schweiz. Was glauben Sie, wann bevölkern Ihre Landsleute wieder die Kappelbrücke in Luzern und die Jungfraubahn?

A: Die Epidemie hat den Tourismus stark betroffen. Ich bin aber überzeugt, dass der Tourismus sich schnell von der Epidemie erholen kann und einen neuen Aufschwung erleben wird, sobald die Epidemiebekämpfung ihre Wirksamkeit zeigt.
 

F: Und ab wann sind Schweizer Touristen in China wieder willkommen?

A: China heisst Touristen aus aller Welt einschliesslich der Schweiz immer willkommen.
 
 
 
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